Besitzt du bereits ein Gravelbike oder überlegst, dir eines zuzulegen, so hast du sicher schon gehört, dass Gravelbikes die vielseitigsten Fahrräder überhaupt sind. Sie sind eine Art Schweizer Taschenmesser auf zwei Rädern und eignen sich für sämtliche Geländearten. Und ja, die Vielseitigkeit der Gravelbikes ist ihr großer Vorteil, denn mit ihnen kann man problemlos dort fahren, wo man sonst entweder auf einem Rennrad oder aber auf einem vollgefederten Mountainbike unterwegs wäre. Aber (es gibt immer ein ‘Aber’) die Vielseitigkeit ist auch ihre große Schwäche. Probiere doch einmal, Brot mit einem Schweizer Taschenmesser zu schneiden und du wirst merken, wie unschön die Scheiben aussehen. Zum Glück jedoch hat der große Erfolg der Gravelbikes die Reifenhersteller dazu veranlasst, ihr Angebot zu erweitern und ihre Modelle auf die verschiedenen Untergründe auszurichten. Möchtest du die richtigen Reifen für dich finden, solltest du dir folgende vier Fragen stellen:
- Wie ist das Verhältnis zwischen Offroad und Onroad?
- Wie schwierig ist das Offroad-Gelände?
- Wie sieht mein Fahrstil aus?
- Ist mein Gravelbike für alle Reifen geeignet?
Geländeart und Offroad/Onroad-Verhältnis
Der Einfachheit halber verwenden wir hier eine Skala von 1 bis 10, wobei 1 eine komplett asphaltierte Oberfläche meint, die sich für Rennräder eignet und 10 ein Gelände, das zu 100 % für vollgefederte MTBs ausgelegt ist.
GELÄNDEART | WAS AM WICHTIGSTEN IST | REIFEN- GRÖSSE | PROFILMUSTER | TUBELESS | |
1 | Asphalt in gutem Zustand | Rollwiderstand | 700×25 | Slick | Nein |
2 | Asphalt mit vielen Schlaglöchern | Rollwiderstand und Dämpfung | 700cx25 700cx28 | Slick | Nein |
3 | Grob asphaltierte Straßen | Rollwiderstand und Dämpfung | 700cx28 700cx30 | Slick | Nein |
4 | Kopfsteinpflaster | Dämpfung und Rollwiderstand | 700cx30 700cx32 | Slick | Empfohlen |
5 | Verdichtete Feldwege mit Schotter | Rollwiderstand und Dämpfung | Von 700cx30 bis 700cx34 | Semi-Slick | Empfohlen |
6 | Trails mit hartem Untergrund und kleinen Steinen | Rollwiderstand, Dämpfung und Grip | Von 700cx32 bis 700cx40 | Semi-Slick-Mittelprofil, niedriges Stollenprofil im Außenbereich | Ja |
7 | Trails mit losem Untergrund und größeren Steinen | Dämpfung, Grip und Rollwiderstand | Von 700cx35 Bis 700cx40 | Niedriges, dicht gepacktes Stollenprofil | Ja |
8 | Trails für Allradfahrzeuge | Dämpfung, Grip und Rollwiderstand | Über 700cx38 | Mitteltiefes Stollenprofil im Mittel- und tiefes Profil im Außenbereich | Ja |
9 | Singletrails | Dämpfung und Grip | Über 700cx40 oder 650b mit 45-47 Breite | Mitteltiefes Stollenprofil im Mittel- und sehr tiefes Profil im Außenbereich | Ja |
10 | Zerklüfteter Untergrund, Wurzeln | Dämpfung und Grip | Über 700cx44 oder 650b mit 45-47 Breite | Mitteltiefes bis sehr tiefes Stollenprofil | Ja |
Wie du siehst, nimmt die Reifenbreite mit der Schwierigkeit des Untergrunds zu. Der Reifen ist dann schwerer und hat einen höheren Rollwiderstand, doch weniger Geschwindigkeit ist immer noch besser, als einen Platten zu riskieren. Außerdem kann man mit einem breiteren Reifen bei geringerem Reifendruck fahren, was eine bessere Dämpfung, mehr Komfort und mehr Spaß bedeutet. Bei Level 9 und 10 kannst du also ruhig zwischen 650b und 700 wählen. Räder mit kleinerem Durchmesser ermöglichen die Verwendung größerer Reifen.
Beim Profilmuster verhält es sich ähnlich. Je lockerer und technisch anspruchsvoller der Untergrund, desto ausgeprägter sollte der Traktion und des Grips wegen das Reifenprofil sein. Unter bestimmten Umständen kann eine Kombination beider Eigenschaften von Vorteil sein, in anderen Fällen ist das Gegenteil der Fall. Schauen wir uns einige Beispiele an:
- Fährt man auf asphaltierten Straßen und einfachen Trails (Level 1 bis 5 oder 6), sollte man einen 700cx32 Slick- oder Semi-Slick-Reifen ohne Schlauch verwenden, der ein leicht stollenartiges Kurvenprofil aufweist.
- Lebt man in einer sehr regnerischen Gegend, fährt kaum auf Asphalt und die Trails liegen über Level 6, sollte man sich mindestens für einen 700cx40 Reifen mit hohem Profil und größeren Stollenabständen entscheiden.
- Möchte man sein Gravelbike als MTB nutzen, sollte man einen 650b Reifen wählen, der breit genug ist. So können Stürze vermieden werden.
- Liegt das Gelände zwischen Level 5 und 8, bietet ein 700cx40 Reifen mit dicht gepacktem Stollenprofil mit geringer Tiefe gerade genug Breite und Profilmuster.
Fahrstil
Neben der Geländeart sollten außerdem die Geschwindigkeit, die eigene Erfahrung sowie die eigene Fahrtechnik Berücksichtigung finden, denn vieles hängt von der Ausgangsdisziplin ab.
Möchte man Gas geben und verfügt über ausreichende technische Fähigkeiten, sollte man sich für einen Reifen mit geringerer Breite und weniger Profil entscheiden. Möchte man sein Gravelbike fürs Bikepacking nutzen, ist es besser, ganz auf Komfort zu setzen und sich für mehr Breite zu entscheiden. Ist der einzige lose Untergrund, den du kennst, das Katzenklo deiner Katze, solltest du dich für mehr Breite sowie ein für das Gelände geeignetes Reifenprofil entscheiden.
Die Größe ist wichtig, aber kenne deine Grenzen
Spätestens jetzt dürftest du wissen, welche Reifenbreite du für dein Fahrrad brauchst. Allerdings könnte dein Gravelbike dir möglicherweise nicht genug Reifenfreiheit bieten. In der Regel verfügen neuere Modelle über eine ausreichende Breite von Rahmen (Kettenstreben, Sitzstreben und Sitzrohr) und Gabel. Doch vergewissere dich lieber vor dem Kauf, ob alles passt. Das gilt umso mehr für größere Größen wie 650b.
Das Gleiche gilt für die Felgenbreite. Montiert man sehr breite Reifen auf schmale Felgen, wird die Form des Reifens einer Glühbirne ähneln. Das hat zur Folge, dass man an Traktion und Kurvenstabilität einbüßt. Die Verwendung schmaler Reifen auf breiten Felgen führt hingegen zu einem Verlust an Stoßdämpfungskapazität. Das macht es wahrscheinlicher, dass Felge oder Reifenflanken beschädigt werden. Außerdem verliert man in den Kurven an Grip.
Zu guter Letzt gibt es noch zwei weitere wichtige Reifenmerkmale, die es zu beachten gilt: Pannensicherheit und TPI.
Als Faustregel gilt: mehr Gummi und weniger TPI = geringeres Pannenrisiko. Viele Reifen verfügen über eine zusätzliche Schutzschicht. Außerdem gibt es spezielle Schaumstoffeinlagen, die zwischen Felge und Reifen angebracht werden und den Reifen zwar schwerer machen, sich jedoch auf schwierigem Terrain als äußerst nützlich erweisen.
Zum Thema TPI: Ein hoher TPI-Wert bedeutet, dass die Karkasse mehr und feinere Fäden pro Zoll und weniger Gummi aufweist. Das spart Gewicht, verbessert die Flexibilität der Karkasse und macht sie schneller. Aber sie ist weniger pannensicher und nutzt sich schneller ab. Außerdem sind Modelle mit hohem TPI-Wert in der Regel teurer und daher nicht für Gelände zu empfehlen, die auf unserer Skala über Level 6 liegen.
Ein niedriger TPI-Wert bedeutet weniger, dickere Fäden und mehr Gummi. Und das bedeutet weniger flexible, schwerere Reifen mit höherem Rollwiderstand. Dafür sind sie billiger und pannensicherer. Sie sind eine gute Wahl für schwieriges Gelände (ab Level 6), können aber in jedem Terrain eingesetzt werden. Die Vielseitigkeit hat jedoch ihre Vor- und Nachteile. Montiert man einen solchen Reifen auf sein Gravelbike, kann man fast überall fahren, doch sollte man nicht damit rechnen, dass man so schnell wird wie mit einem Slick-Reifen auf Asphalt oder aber die Traktion eines 2,4″-Reifens mit niedrigem Druck auf schlammigem Terrain erreicht.